70 Jahre Eingemeindung - 70 Jahre Mainz-Gonsenheim

Ansicht von Gonsenheim aus dem Jahr 1942

Teil 1: Das Streben der Stadt Mainz nach Vergrößerung - Gonsenheimer Aktivitäten zur Erhaltung der Selbstständigkeit

Der Wunsch der Stadt Mainz nach Eingemeindungen

Um nicht in der Konkurrenz anderer Städte zu unterliegen, hat Mainz im 19. Jahrhundert versucht, seine Fläche durch die Rheinufer-Erweiterung und durch Eingemeindungen zu vergrößern. Unterlagen und Zeitungsberichte bezeugen, dass sich städtische Behörden zuerst 1896 mit der Eingemeindung umliegender Orte befassten.[1] Der Artikel des Mainzer Anzeigers meinte, erst durch Eingemeindungen seien New York, Wien und Berlin zu Weltstädten geworden, und auch in der näheren Umgebung seien Köln, Frankfurt und Mannheim zu Großstädten mit über 100.000 Einwohnern gewachsen. Selbst das einst kleinere Darmstadt komme durch Eingemeindungen bei den Einwohnerzahlen nahe an Mainz heran. Doch für die Mainzer waren die Favoriten unter den Nachbargemeinden, mit denen die Stadt in „innigster Verbindung“ stand, die Orte Kastel, Gustavsburg, Weisenau und als allernächster Mombach.

Innerhalb des Jahres 1904 wurden die ersten elektrischen Straßenbahnlinien von Mainz nach Mombach, Kastel – erweitert 1907 nach Kostheim – und Weisenau eröffnet. Die Mombacher Strecke wurde 1907 nach Gonsenheim verlängert. Die von der Stadt bezahlten Verkehrseinrichtungen können wohl als Lockmittel für Eingemeindungen bezeichnet werden, denn Mombach wurde 1907, Kastel 1908 und Kostheim 1913 eingemeindet. Doch Weisenau gab erst 1930 nach und Gonsenheim musste erst in der NS-Zeit 1938 zwangseingemeindet werden.

Mainzer Bemühungen um Gonsenheim

Nach der Fahrt zur Einweihung der Straßenbahnlinie nach Gonsenheim am 14. Juni 1907 brachte beim Empfang der Gemeinde Gonsenheim im Schlosshotel der höchste Rheinhesse Provinzialdirektor Geheimrat Freiherr von Gagern die Sprache auf die Absichten der Stadt Mainz mit dem Bau und der Finanzierung der Strecke.[2] Es komme ihm „so vor, als ob die Stadt Mainz ihre Fühlhörner jetzt … ausgestreckt hätte, … um später auch Gonsenheim zu verspeisen.“ Damit machte der prominenteste Gast unzweideutig klar, in der Bildersprache des gerade stattfindenden Festessens, dass nach dem Bau der Straßenbahn nach Mombach und dessen Eingemeindung die Weiterführung der Strecke nach Gonsenheim nur ein Lockmittel auch zur weiteren Eingemeindung sei, wenn auch nicht sofort, so werde sich mit der Zeit die „Verschmelzung von selbst vollziehen“. Der Gonsenheimer Bürgermeister hielt sich in seiner Antwort sehr bedeckt. Zur Anspielung mit der Eingemeindung nahm er überhaupt keine Stellung, sondern dankte nur, an die Adresse der Stadt Mainz gerichtet. Den Vorteil der neuen Bahn sah er zuerst bei Mainz, erst in zweiter Linie erhoffte er, würde sich auch ein Vorteil für Gonsenheim ergeben. Der Mainzer Oberbürgermeister hatte wohl vom Gonsenheimer Bürgermeister eine Antwort auf die Anspielung des Provinzialdirektors und damit eine Stellungnahme zur Eingemeindung erwartet. Da diese nicht kam, wollte auch er sich nicht offenbaren und die Anspielung mit den „Fühlhörnern“ nicht gelten lassen, sondern wünschte Gonsenheim sogar eine „gedeihliche Entwicklung … als selbständige Gemeinde“, musste aber am Schluss doch hinzufügen, „dass die Stadt eine Linie gebaut (habe), die außerhalb ihrer eigentlichen Interessensphäre liege. In erster Linie verdienten diesen Dank die Stadtverordneten. … "

Anscheinend sprach nur der Provinzialdirektor Klartext, während der oberste Vertreter der Stadt die wahren Absichten verschleierte und die Stadtverordneten als die Entscheidungsträger hervorhob. Die haben aber wohl kaum eine Linie finanziert, ohne eigene Interessen damit zu verfolgen. Der Gonsenheimer Bürgermeister hingegen wollte von dem ihm als Stichwort gegebenen Thema Eingemeindung nichts wissen.

Nach dem 1. Weltkrieg hat es ab 1924 gelegentlich schon Gespräche zwischen der Stadt und den Nachbargemeinden, auch Gonsenheim, gegeben. Doch besonders im Jahre 1928 schien Mainz großes Interesse an einer Vergrößerung des Stadtgebietes zu hegen. 1926 waren Schierstein, Biebrich und Sonnenberg in das Wiesbadener Stadtgebiet eingegliedert worden, Frankfurt hatte sich 1928 um das einst kurmainzische Höchst vergrößert. Deshalb habe die Stadt Mainz, schrieb der Gonsenheimer Bürgermeister Alexander in seinem Jahresbericht 1928, „um von Frankfurt und Wiesbaden nicht vollständig überflügelt zu werden, Verhandlungen zunächst mit den Gemeinden Bretzenheim, Hechtsheim und Weisenau eingeleitet, diese dann aber ausgedehnt auf Gonsenheim, Budenheim und Gustavsburg-Ginsheim.“ Alexander sah vor allem „ein besonderes Interesse der Stadt an einem Zusammenschluss mit Gonsenheim“ wegen 1) des Gonsenheimer Baugeländes an der Grenze zu Mainz und 2) „für den Erholung suchenden Städter notwendigen ausgedehnten Waldungen“. Auf Vorschlag des Mainzer Oberbürgermeisters Dr. Külb v. Juli 1928 hat sich eine Kommission aus Mainzer und Gonsenheimer Vertretern  mehrfach getroffen, um „städtebauliche, landwirtschaftliche und Verkehrsfragen“ zu besprechen. Doch die Mehrheit des Gonsenheimer Gemeinderats war der Ansicht, dass sich die Gemeinde finanziell „noch auf Jahre hinaus ihre Selbständigkeit aufrecht erhalten“ könne, auch der geplante Schulhausneubau sei gesichert.[3] Trotzdem meinte der Gonsenheimer Verwaltungschef müsste man in Verhandlungen ausloten, ob nicht durch die „Bildung einer Großgemeinde das gesamte Wirtschaftsgebiet eine Förderung erfahren würde, die natürlich auch der Einzelgemeinde zugute käme.“[4] Doch der Gonsenheimer Gemeinderat hat sich nur wenige Tage später mit Mehrheit gegen das Ansinnen der Stadt gewandt, zwölf Mitglieder, vornehmlich Landwirte, waren dagegen, sieben dafür bei einer Enthaltung.

So wurden am 1. Januar 1930 nur Weisenau und Bretzenheim und die Mainspitzgemeinden Ginsheim, Gustavsburg und Bischofsheim eingemeindet.[5] Die Eingemeindung Hechtsheims scheiterte 1929 an einer Abstimmung der Bevölkerung (7.7.1929: 593 dafür, 1169 dagegen) und des Gemeinderats (25.9.1929: 8 dafür, 9 dagegen).[6] Doch die Ablehnung führte zu einer Wirtschaftskrise im Ort. Hechtsheimer Arbeiter wurden von städtischen Betrieben zurückgewiesen und Arbeiter entlassen. Die Wasserversorgung aus Mainz geriet ins Stocken. 75 % des Gemeinde-Steueraufkommens waren Wohlfahrtslasten, bei einer Eingemeindung wären es viel weniger gewesen. So befürwortete bei einer erneuten Befragung der Hechtsheimer im Dezember 1930 eine Mehrheit die Eingemeindung. Doch diese Umorientierung kam zu spät.[7]

Gonsenheimer Anstrengungen zur Erhaltung der Eigenständigkeit

Trotz der schnellen Entwicklung haben die von der Bürgerschaft gewählten Gonsenheimer Gemeindeväter – Bürgermeister Franz August Becker (1893 – gest. 1912), sein Stellvertreter der Adjunkt, und die 12 Gemeinderäte – versucht, die Eigenständigkeit der Dorfgemeinde zu wahren, indem sie bei der Schaffung moderner Verkehrs- und Transportmöglichkeiten mithalfen und selbst neue Energiequellen erschlossen. In verschiedenen Beiträgen der Reihe „Gonsenheim um 1900 – das großherzogliche Dorf an der Schwelle zur Moderne“ habe ich das darzustellen versucht.         Die Schaffung neuer Energiequellen durch den Bau eines eigenen Wasserwerks mit einer Fernwasserleitung (1900) und eines Gaswerks (1904)[8]. Gonsenheim bekam schon 1871 Bahnanschluss durch die Eisenbahnstrecke Mainz – Gonsenheim – Nieder-Olm – Alzey der Ludwigs-Eisenbahngesellschaft.[9] Der Bahnhof lag allerdings etwas außerhalb. Gut 20 Jahre später, von 1892 an, konnten Marktfrauen mit ihrem „Marktschatz“ und Arbeiter auf dem Weg zu ihrem Werk die Dampfbahn benutzen[10]. Ab 1907 verkehrte auch die elektrische Straßenbahn über die Waggonfabrik zum Hauptbahnhof[11]. Gonsenheim war also verkehrsmäßig sehr gut erschlossen, sowohl für die Ortsbewohner auf dem Weg in die Stadt und von dort auch in die weite Welt, als auch die Städter zum Wochenendvergnügen in Gonsenheim und seinem Wald. Die Dorfväter hatten durch ihre Verhandlungen, aber auch durch die Abgabe von Gemeindeland dazu beigetragen. Die wachsende Bevölkerung verlangte auch den Bau und die ständige Erweiterung des Maler-Becker-Schulzentrums mit Volksschul- und Berufsschulklassen (1882, 1895, 1907 und 1930)[12], einer Gemeindeapotheke (1900) und einem Gemeinde-Postamt (1904). Die Gemeinde schuf damit Voraussetzungen, dass sich neben Arbeitern auch potente Neubewohner ansiedelten und die Gonsenheimer Betriebe, Geschäfte und Gastwirtschaften genügend zu tun hatten. So wurde alles unternommen, um eine eigenständige Entwicklung des Dorfes zu einem attraktiven Wohnort voranzutreiben.

Für den Gonsenheimer Geschäftsmann, Gemeinderat und Heimatforscher Schuth liegt die ungeahnte Entwicklung und gewaltige Ausdehnung des „neuaufgebauten Gonsenheim“ begründet im „politischen und wirtschaftlichen Aufschwung“ des Deutschen Reiches vor dem 1. Weltkrieg, aber auch in der „günstigen Lage vor den Toren einer großen und gewerbereichen Stadt“ und in dem Wirken derjenigen Gonsenheimer „Männer, die es verstanden haben, dem Aufstieg die richtigen Wege in großzügiger Weise vorzuzeichnen, obwohl das manchen Kampf mit veralteten und rückständigen Anschauungen gekostet hat.“[13] Man sollte immerhin berücksichtigen, die Gonsenheimer Lokalpolitiker waren hauptsächlich Bauern, die sich mit viel Mut in eine neue Materie hineinarbeiten und manches Risiko – wie die Finanzierung der neuen Werke – eingehen mussten.

Doch nachdem 1907 die elektrische Straßenbahn nach Gonsenheim in Betrieb genommen worden war, wurde 1911 der Ort an das Mainzer Stromnetz angeschlossen. Mit der Zeit konnte das kleine Gonsenheimer Gaswerk am Bahnhof mit den Mainzer Preisen nicht mehr konkurrieren, so dass es ab 1927 geschlossen wurde und Gonsenheim neben Strom nun auch mit Gas von den Werken der Stadt Mainz auf der Ingelheimer Aue versorgt wurde.[14] Da das eigene Gonsenheimer Wasserwerk von 1900 an der Straßenbahnlinie vor Finthen nicht mehr genügend produzierte, wurde die ständig wachsende Einwohnerschaft seit 1909 durch das Ingelheimer Gruppenwasserwerk versorgt, von wo das kostbare Nass durch eine Fernwasserleitung zum noch heute sichtbaren Sammelbehälter gegenüber Schloss Waldthausen hochgepumpt wurde und durch weitere Rohre nach Gonsenheim floss. Hatte sich das großherzogliche Gonsenheim noch unabhängig vom Mainzer Wasser machen können, so beziehen heute die nun eingemeindeten Gonsenheimer ihr Wasser auch von den Stadtwerken Mainz, die nur eine Verteilerfunktion für drei Wasserwerke im Rüsselheimer Hofgut Schönau, auf der Petersaue und bei Eich südlich von Oppenheim ausüben.

Teil 2: Die Zwangseingemeindung in der NS-Zeit 1938

Bürgermeister und Gemeinderat in Gonsenheim während der NS-Zeit (1933-1938)

In der NS-Zeit wurde die Eingemeindung Gonsenheims erneut akut. Doch bevor wir dieses Thema behandeln, müssen erst die neuen Befehlsstränge erklärt werden, um die weitere Entwicklung zu verstehen.

Bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 hatte die NSDAP zwar „nur“ 43,9 %[15] gewonnen, mit den 8 % der DNVP aber eine absolute Mehrheit erreicht. Entsprechend diesem Reichstagswahlergebnis wurden alle Länder „gleichgeschaltet“, d.h. alle noch nicht nationalsozialistisch regierten Länderregierungen mussten zurücktreten, überall rückten Nationalsozialisten in die Machtpositionen. Die neue Regierung war nun nach dem auch in Hessen eingeführten „Ermächtigungsgesetz“ befugt, selbst Gesetze ohne Rücksicht auf den Landtag oder die Justiz zu erlassen. Die am 20. März formulierte „Verordnung zur Sicherung der Verwaltung in den Gemeinden“ erlaubte dem Innenminister, die amtierenden Bürgermeister und Beigeordneten zu entlassen, wenn diese Mitglieder der SPD oder KPD waren oder „wenn diese Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Ordnung erforderlich erschien“. Diese schwammige Formulierung konnte nach Belieben angewandt werden. Der Innenminister konnte darauf kommissarische Bürgermeister einsetzen. So wurde auch in Gonsenheim Bürgermeister Alexander aus dem Amt gedrängt. Ein Herr Jacobi trat an seine Stelle, 1934 wurde Georg Grabfelder, der Ortsgruppenleiter der NSDAP, „kommissarischer Bürgermeister“ und 1935 „Bürgermeister“ d. h. Leiter bzw. „Führer“ der Gemeinde, ein Amt, das er bis zum Einmarsch der Amerikaner 1945 ausübte. Seine Aufgabe war, die Entscheidungen und die Anordnungen der höheren Führungschargen nach unten durchzusetzen.

Kommunalwahlen fanden nicht mehr statt, alle Gemeinderäte wurden nach dem Ergebnis der Reichstagswahlen zusammengesetzt. Da im Juni 1933 alle Parteien verboten wurden, konnten nur noch Parteimitglieder (= Pg.) der NSDAP im Gemeinderat sitzen bzw. Bürgermeister werden.[16] So heißt es in den Gonsenheimer „Amtlichen Nachrichten“: „Die Vereidigung und Einführung der Gemeinderäte in Gonsenheim gestaltete sich zu einer schlichten, eindrucksvollen Feier im Sitzungssaal des Volkshauses. Pg. Bürgermeister Grabfelder richtete an die vom Beauftragten der NSDAP Kreisleiter Pg. Dr. Barth am 25. September (1935) berufenen Räte der Gemeinde Gonsenheim, zu Herzen gehende Worte über die Pflichten, die jeder Einzelne damit übernimmt.“[17] Die „Deutsche Gemeindeordnung“ vom 30. Januar 1935 bestimmte, dass allein der Bürgermeister die Verwaltung „führte“, die Räte hatten nur beratende Funktion. Der Beauftragte der NSDAP musste bei Entscheidungen gehört werden.[18] Partei und Staat hatten eine Zwangsordnung eingerichtet, die für ein eigenverantwortliches Gemeindeleben keinen Raum mehr ließ.

Die Eingemeindungsfrage in der NS-Zeit bis zur Zwangseingemeindung von 1938

Im Juli 1933 befürwortete Staatssekretär Jung von der Darmstädter Regierung des Volksstaats Hessen eine solche Vergrößerung des Mainzer Stadtgebiets. Erst 1935 erfuhr Bürgermeister Georg Grabfelder bei einem privaten Gespräch mit dem Mainzer Oberbürgermeister Dr. Barth[19] von solchen Plänen.[20] Der Mainzer Verwaltungschef hat auch in seiner Begründung der Eingemeindung 1938 eingeräumt, dass er den Vorstoß des hessischen Staates nicht aufgegriffen habe, weil Gonsenheim zuerst „die aus der Zeit vor dem nationalsozialistischen Umschwung bestehenden finanziellen Schwierigkeiten überwinden und die Haushalte bereinigen“ sollte.[21] Gonsenheim hatte in seiner Entwicklung stark unter den Folgen des 1. Weltkriegs und besonders unter der französischen Besatzungszeit bis 1930 zu leiden gehabt. Trotz der Weltwirtschaftskrise konnte deshalb in den 30-er Jahren eine Erholung festgestellt werden. Das wurde natürlich als Fortschritt unter dem NS-Bürgermeister Grabfelder propagandistisch ausgewertet.

Was Grabfelder 1963 nicht einfiel, geht aus dem Protokoll der Sitzung des Gemeinderats von Anfang 1937 hervor. Damals berichtete der Gonsenheimer Bürgermeister seinem Gemeinderat, dass ihm „von nicht amtlicher Seite zu Ohren gekommen sei, die Eingemeindung Gonsenheims zur Stadt würde betrieben.“ Im Gespräch gab der OB zu, dass er einen Antrag auf Eingemeindung Gonsenheims stellen würde, da die in Gonsenheim zu bauenden Kasernen zur Garnison Mainz gehörten. Doch der Gemeinderat lehnte ein solches Ansinnen „einmütig“ ab, weil durch die eingeleiteten Sparmaßnahmen die Sanierung der Finanzen unter „günstigeren Bedingungen für die Bürger Gonsenheims möglich wären … als bei einer Eingemeindung“. Dennoch beschlossen Bürgermeister, zwei Beigeordnete und der zwölfköpfige Gemeinderat nichts zu unternehmen, „weil … nach Mitteilung des Herrn Oberbürgermeisters … ein offizieller Eingemeindungsantrag noch nicht eingereicht … und der Reichsstatthalter … noch nicht unterrichtet worden sei.“ [22] Vielleicht hätte das damals die ganze Angelegenheit in die Öffentlichkeit gebracht. Vor allem die Landwirte wollten selbst über die Gonsenheimer Felder bestimmen, während Arbeiter nach der Eingemeindung sich höhere Löhne erhofften. So konnte auch nicht eine ins Gespräch gebrachte Ausgemarkung der nach Mainz liegenden Gebiete Hartenberg, Gleisberg und „Allee“ vollzogen werden.

Die Meinung des Gemeinderats über die Gemeindefinanzen wird bestätigt durch die Prüfung der Gemeinderechnungen: z.B. für das Rechnungsjahr 1936 ergab sich ein erheblicher Überschuss im Gemeindeetat als auch bei den Einnahmen aus dem Verbrauch von Gas, Wasser und Strom.[23]

Aus allen Unterlagen geht hervor, dass besonders die Wehrmacht Druck ausübte, um die Eingemeindung vor dem Einzug des Feldartillerieregiments 72 in die neuerbaute Kathen-Kaserne in Gonsenheim zu erreichen. Die offizielle Initiative ging allerdings vom Mainzer Oberbürgermeister aus, der am 3. Januar 1938 bei Reichsstatthalter Sprenger einen formellen Eingemeindungsantrag stellte, dem eine detailliert aufgeführte Begründung beigegeben war. Eine Ausfertigung des Schreibens ging auch an die Bürgermeisterei Gonsenheim.[24] Für den Mainzer Verwaltungschef schien Gonsenheim sich von den Schwierigkeiten der Besatzungszeit erholt zu haben, so dass eine Eingemeindung für Mainz eher von Vorteil schien als noch 1933.

Die „Begründung der Notwendigkeit, Gonsenheim nach Mainz einzugemeinden“ des Mainzer Oberbürgermeisters Dr. Barth vom 3. 1. 1938

Der Mainzer Oberbürgermeister betrachtete die Eingemeindung als unabwendbar, da die Stadt neues Bauland benötige und die wirtschaftliche und kulturelle Verflochtenheit der beiden Gemeinden von alters her danach verlange. Die Stadt brauche in der Gonsenheimer Gemarkung mehr Flächen zum Eigenheimbau, für die Anlage von Sportplätzen, Erholungsheimen und Einrichtungen für die Hitlerjugend (HJ) und die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV). Gonsenheim sei ohnehin von drei Seiten vom Stadtgebiet umschlossen. Gonsenheimer Neubauten, nahe an der Stadtgrenze und damit weit vom Ortskern, müssten von Mainz aus mit Strom, Gas und Wasser versorgt werden. Die Stadt habe keinen Platz gehabt für kommunale Einrichtungen, die dann auf Gonsenheimer Gebiet errichtet werden mussten.[25] Neben den räumlichen Verbindungen sei die wirtschaftliche und kulturelle Verflechtung enger als mit den bisher eingemeindeten Vororten. 200 Gonsenheimer Landwirte verkauften ihr Obst und Gemüse auf dem Mainzer Markt, für über 1.000 der Gonsenheimer Arbeitnehmer in Mainzer Betrieben und im öffentlichen Dienst zahle Mainz einen Gewerbesteuerausgleichbetrag von 17.100 RM, während Gonsenheim selbst nur 50.000 RM Gewerbesteuer einnehme. Angehörige freier Berufe wohnten in Gonsenheim, so dass das Dorf einen vorstädtischen Charakter habe.

400 Gonsenheimer Schüler besuchten Mainzer Fach-, Berufs- und höhere Schulen, das wären 1/6 aller auswärtigen Mainzer Schüler, während Gonsenheim nur eine Mädchenberufsschule vorweisen könne. 350 Kranke aus Gonsenheim hätten 1935 Mainzer Krankenhäuser belegt. Das Stadttheater habe viele Gonsenheimer Dauerbesucher.

Besonders eng seien die Verkehrsverbindungen. 800 Gonsenheimer führen täglich mit Dauerkarten der städtischen Straßenbahn, des Mieterverkehrs Vlasdeck[26] und der Reichsbahn Mainz - Alzey[27], die Stadt unterhalte die Straßenbahn und versorge Gonsenheim mit Strom und Gas. Es existiere seit Jahren eine „einheitliche staatliche Polizeiverwaltung für Mainz und Gonsenheim“.

Gerade der landwirtschaftlichen Bevölkerung, die bisher der Eingemeindung ablehnend gegenüberstand, versichert er, dass ihre Belange durch eine Gemeinschaft „bei den Verwaltungsgrundsätzen des Dritten Reiches … noch nachträglicher berücksichtigt“ würden. Vor allem sei der Gonsenheimer Wald die wesentliche Erholungsstätte der Mainzer Bevölkerung.

Trotz vieler nachvollziehbarer Gesichtspunkte, die auch heute von der Stadt Mainz angeführt werden, wenn z. B. das Problem der aus dem Kreis kommenden Jugendlichen in Mainzer Schulen angesprochen wird, so war wohl doch ein anderer Themenschwerpunkt der entscheidende: die Aufrüstung und damit der Auf- und Ausbau militärischer Anlagen. Dr. Barth benutzte diesen Aspekt immer wieder in seiner Argumentation. Einerseits war er von der Wehrkreisverwaltung XII in Wiesbaden zur baldigen Eingliederung Gonsenheims angetrieben worden, andererseits kam ihm dieses Druckmittel auch gelegen.

Überall wolle die Heeresverwaltung militärische Unterkünfte an den Stadtrand in die Nähe des Übungsgeländes legen. Als Beispiele werden Kassel, Koblenz und Darmstadt genannt. Dieses stärker werdende Bedürfnis des Militärs nach Gelände könne auch nur in Gonsenheim befriedigt werden, so für den Bau und den Ausbau der Kathen-Kaserne und des dazu nötigen Übungsgeländes mit Autohallen auf dem „Großen Sand“ und für den Bau der Flakkaserne (heute die ursprünglichen Gebäude der Universität um das Forum). Für alles sei die Energieversorgung durch die Stadt unabdingbar. Die Wehrmacht habe angedeutet, wenn eine Eingemeindung nicht zustande komme, würde eine „Ausgemarkung aller militärisch zu nennenden Geländeteile aus der Gemarkung Gonsenheim“ beantragt werden. Nur eine gemeinsame Verwaltung von Mainz und Gonsenheim könne die städtebauliche und die militärische Entwicklung in Einklang bringen und dabei den Erholungswert erhalten.

Als Empfehlung gab er den 1.4.1938 als Zeitpunkt der „baldigen Eingemeindung“ an, konzedierte aber auch einen Aufschub bis spätestens 1. Oktober des Jahres.[28]

Es wird zwar nicht ausdrücklich erwähnt, doch glaubt man herauszuhören, der Druck der Wehrkreisverwaltung resultiere auch aus dem Interesse der Offiziere und Wehrmachtsbeamten an höheren Bezügen durch eine höhere Ortsklasse. So hat sich jedenfalls der ehemalige Bürgermeister Grabfelder 1963 ausgedrückt.[29]

Die Zwangseingemeindung vom 1. April 1938[30]

Bürgermeister Grabfelder verlas am 7. Januar 1938 dem herbeigerufenen Gemeinderat das Schreiben und die Begründung des Oberbürgermeisters und teilte mit, dass er sich sofort mit dem Direktor der Provinz Rheinhessen Dr. Wehner als Aufsichtsbehörde und mit der Abteilung III der Darmstädter Landesregierung verständigt habe. Doch diese empfahlen, bis zu einer Entscheidung des Reichsstatthalters zu warten, weil dieser die Verhandlungen führe. Die Gemeinderäte sollten sich in der Zwischenzeit „mit den Gründen der Stadt Mainz vertraut machen“ und die Stimmung unter der Bevölkerung auskundschaften.[31]

Einen Monat später – am 7. Februar – unternahmen Ministerialrat Weber und Oberregierungsrat Kerz aus Darmstadt mit dem Mainzer Oberbürgermeister und dessen Beigeordnetem Knipping und dem Gonsenheimer Bürgermeister Grabfelder und dem 1. Beigeordneten Seib eine „Besichtigungsfahrt“ durch Gonsenheim. Darüber unterrichtete Grabfelder schon drei Tage später seinen Gemeinderat in der Sitzung vom 10. Februar. Nach der Besichtigung hätten die Vertreter der hessischen Landesregierung erklärt, die Argumente der Stadt Mainz seien nicht zu widerlegen und damit die „Eingemeindung unabwendbar“. Die vom Heeresamt aufgenommenen Verhandlungen wegen der Versorgung des Kasernen-Neubaus mit Gas, Wasser und Strom durch die Stadt Mainz würden sogar eine Eingemeindung zum 1. April 1938 notwendig machen. Er habe als Gonsenheimer Bürgermeister erwidert, eine solch schnelle Eingemeindung sei nicht möglich, da mehrere Bauprojekte noch ausgeführt werden müssten. Doch die Regierungsvertreter hätten die Zusage gemacht, mit einem eigenen Gonsenheimer Haushaltsplan für 1938 sei auch das noch möglich.

Bei der weiteren Aussprache habe er Dr. Barth die ablehnende Stimmung der Gonsenheimer Bevölkerung mitgeteilt. Gonsenheim „befinde sich in geordneten Verhältnissen und könne sich in eigener Verwaltung schneller sanieren“. Ein anderer Grund der Ablehnung sei, dass Gonsenheims Straßen „in bestem Zustand seien“ gegenüber den schlechten Straßen in den Mainzer Vorortgemeinden. Dr. Barth hätte das zugeben müssen, es aber mit der schlechten Finanzlage der Stadt Mainz erklärt, die sich aber bald bessern werde. Weiter habe der Oberbürgermeister versprochen, dass „die von Herrn Bürgermeister Grabfelder vorgebrachten Gründe, wonach Gonsenheim als Villenvorort der Stadt Mainz hinsichtlich der Straßen und öffentlichen Anlagen besser unterhalten werden müsse als die übrigen eingemeindeten Vororte.“

Vor seinem Gemeinderat gab sich Grabfelder kämpferisch. Leider fehlen Unterlagen aus Mainzer oder Darmstädter Sicht, um das zu bestätigen. So sprachen sich auch die Gonsenheimer Gemeindevertreter bei ihrer eigenen Aussprache im „Volkshaus“ „einmütig“ gegen die Eingemeindung und für den Erhalt der „Selbständigkeit“ aus. Die Finanzlage sei immer besser geworden und es bestehe die „Aussicht einer vollständigen Sanierung in absehbarer Zeit“. Alle Gründe der Stadt seien widerlegbar und es „läge nicht im nationalsozialistischen Sinn“ eine landwirtschaftliche Gemeinde einer Großstadt anzugliedern. Die Gemeinderäte würden die ablehnende Haltung der Bevölkerung wiedergeben. Vor einer Entscheidung müsse Rücksprache mit dem Reichsstatthalter gehalten werden, ob die Eingemeindung notwendig sei und ob im Falle der Ablehnung die Regierung dieselbe gesetzlich anordnen könne.

Nach der Aussprache fasste der Bürgermeister zusammen: Nach der Besichtigungsfahrt hätten die Regierungsvertreter die Eingemeindung als notwendig angesehen und deshalb vorgeschlagen, Gonsenheim solle in Verhandlungen seine Wünsche an Mainz herantragen. Gonsenheim werde deshalb mit Mainz erst die Bedingungen ausarbeiten, „unter denen Gonsenheim einer Eingemeindung zustimmen wird.“ Dann könnten sich die Gemeinderäte nochmals äußern.[32]

Da hat Grabfelder selbst einen Rückzieher gemacht. Zuerst hat er vor dem Gemeinderat seinen Widerstand gegenüber den Vertretern der Regierung und der Stadt herausgestrichen und damit den Rat auch zu einer ablehnenden Haltung beeinflusst. Doch in Grabfelders zusammenfassendem Beschluss ist von einer strikten Ablehnung nicht mehr die Rede, nur von dem Herausholen besserer Bedingungen.

So wurden auch bei der nächsten Gemeinderatssitzung am 24. Februar nur die „Zusätze zu den Bedingungen“, d.h. die Gonsenheimer Wünsche zu Vertragsänderungen besprochen. Wenn es heißt: „Im Uebrigen findet der Vertrags-Entwurf seine (= d. h. Grabfelders) Zustimmung“, dann wurde die Eingemeindung als gegebene Tatsache hingestellt, nur die Vertragsbedingungen sollten noch zugunsten Gonsenheims verbessert werden. Auch am 14. März befasste sich der Gemeinderat nur mit Verbesserungen an einigen Paragraphen (§1, §3).

Am Freitag, dem 18. März, gab es in der Darmstädter Landesregierung eine letzte Besprechung zwischen den Vertretern der Stadt Mainz und der Gemeinde Gonsenheim und darauf den Vertragsabschluss durch die Unterschriften des Oberbürgermeisters Dr. Barth und des Bürgermeisters Grabfelder. In der Gemeinderatssitzung drei Tage später – am 21. März - konnte Grabfelder nur den „unterschriftlich vollzogenen endgültigen Vertrag über die Eingemeindung“ bekannt geben, wobei er noch die Berücksichtigung der letzten Wünsche erwähnte. Keiner erhob Einspruch, „dem Vertragsabschluss (wurde) Zustimmung erteilt.“[33] Der Eingemeindungsvertrag vom 18. März trat nach der Unterschrift des Reichsstatthalters Sprenger am 29. März schon drei Tage später am 1. April 1938 in Kraft (Erlass 4622/B/38/II). Aus Gonsenheim bei Mainz war Mainz-Gonsenheim geworden. Eine Verwaltungsstelle, das Standesamt und das Ortsgericht im Gonsenheimer Rathaus blieben bestehen. Der Bürgermeister der Gemeinde Gonsenheim wurde Ortsvorsteher des Stadtteils Mainz-Gonsenheim. Der Gemeinderat wurde aufgelöst, dafür wurden drei Gonsenheimer Bürger zu Ratsherren der Stadt Mainz berufen.[34] Seit der Einführung der „Deutschen Gemeindeordnung“ am 30. Januar 1935 führten die Gemeindevertreter den Titel „Ratsherren“. Sie wurden mit Zustimmung des Bürgermeisters auf sechs Jahre berufen, hatten aber nur eine beratende Funktion.

Kann man von einer Zwangseingemeindung sprechen? Die letzte Ablehnung des Gemeinderats erfolgte in der Sitzung vom 10. Februar. Doch der Beschluss durch den Bürgermeister – d.h. nach damaligem Sprachgebrauch den Führer der Gemeinde – hieß schon nicht mehr Totalablehnung, sondern den bestmöglichen Vertrag ausloten. In den folgenden Sitzungen wurden nur noch Einzelpunkte zur Verbesserung vorgeschlagen. Die Gemeindeväter hatten wohl die Aussichtslosigkeit ihres Widerstands eingesehen und resigniert. Entsprechend werden in den Anwesenheitslisten auch immer mehr Entschuldigte eingetragen: am 21. März, bei der Bekanntgabe des Vertragsabschlusses, fehlten von 12 Gemeinderäten die Hälfte! Doch erst nach dieser Vertragsunterzeichnung in Darmstadt durch den Mainzer Oberbürgermeister und den Gonsenheimer Bürgermeister hat der mächtigste Mann im Lande seine Unterschrift geleistet, der in Frankfurt amtierende NS-Gauleiter Jakob Sprenger für den „Gau Hessen-Nassau“ und „Reichsstatthalter“ und damit „Führer der Landesregierung in Hessen“. Somit war die Macht in Staat und Partei in einer Person vereinigt. Einen Widerspruch oder eine Eingabe bei einer höheren Instanz gab es im NS-Führerstaat nicht.

Im Rundschreiben 6 informierte Oberbürgermeister Dr. Barth am 1. April 1938 alle städtischen Dienststellen über die Eingemeindung von Gonsenheim und kündigte an, dass die zuständigen Dezernenten noch Weisungen erteilen würden, „von wann ab und in welchem Umfang sich ihr Aufgabengebiet auf den Stadtbezirk Mainz-Gonsenheim erstreckt.“ Die städtischen Dienststellen mussten vom 1. April also auch den neuen Stadtteil verwalten.[35]

Wie die Zwangseingemeindung in der gleichgeschalteten Presse verkauft wurde und wie sich Grabfelder, der Bürgermeister von 1938, nach 25 Jahren 1963 dazu äußerte

Als am 31. März 1938 der „Mainzer Anzeiger“ unter der Rubrik „Groß-Mainz“ auf S. 6 die Eingemeindung Gonsenheims einen Tag später am 1. April nur kurz ankündigte, war ohnehin das Tagesgespräch die Fahrt des „Führers“ mit dem Zug durch den Mainzer Hauptbahnhof. Obwohl Hitler nur aus dem Abteilfenster hinaussah und einmal winkte, „säumten Zehntausende die Fahrtstrecke“. Die Zeitung stellte die Eingemeindung als eine „Vereinbarung zwischen der Stadt Mainz und der Gemeinde Gonsenheim“ dar, die vom Reichsstatthalter nur „bestätigt“ worden sei.

Eine offizielle Feier wurde auf die Zeit nach der Reichstagswahl am Sonntag, dem 10. April 1938, verschoben, die mit einem Votum für den Anschluss Österreichs verbunden war. Da nur die NSDAP als einzige Partei zugelassen war, fand auch kein Wahlkampf statt. Doch auch in Gonsenheim wie überall wurden die Wähler zu einem einmütigen „Ja“ als Bekenntnis zum Führer aufgefordert. Zum ersten Mal wählten die Gonsenheimer als Groß-Mainzer. Von 125.894 Stimmberechtigten gaben 124.364 ihre Stimmen ab, 121.781 votierten mit „Ja“ und 2.292 mit „Nein“. In Gonsenheim gab es 6.278 „Ja“, 57 „Nein“ und 24 „Ungültige“. In Groß-Mainz hatten demnach ca. 97,1 % mit „Ja“, in Gonsenheim aber sogar 99,1% mit „Ja“ abgestimmt. Das heißt, trotz der Zwangseingemeindung war die Zustimmung in Gonsenheim für die herrschende Ordnung überwältigend hoch, heute würde man sagen erschreckend hoch.[36]

Der „Mainzer Anzeiger“ versuchte den Gonsenheimern in einem Artikel v. 14.4.1938 die Gründe für die Eingemeindung zu erklären. Zuerst erfolgte eine allgemeine Einstimmung, dass „alle Entscheidungen im nationalsozialistischen Gemeinwesen … zum Wohl der Gemeinschaft gefällt“ werden, „daher immer populär“ seien und den „Beifall der Volksgenossen“ fänden. Unter diesem Gesichtspunkt sei auch die Eingemeindung von Gonsenheim zu verstehen. Steckt nicht dahinter die Drohung, Widerstand sei sinnlos, sonst vergeht man sich gegen die Volksgemeinschaft. Schließlich galt seit März 1933 das „Heimtückegesetz“, wonach selbst mündliche Kritik an Entscheidungen der Führung unter Strafe gestellt werden konnte, wenn dadurch „das Vertrauen der Bevölkerung in die Führung geschädigt wurde“. Von unserem heutigen Standpunkt eigentlich ein Widerspruch in sich. Vertrauen kann nicht durch Strafandrohung erzwungen werden. Sondergerichte ermöglichten sogar eine Verkürzung der Verfahren. Trotzdem gab es auch im sogenannten 3. Reich Möglichkeiten, abweichende Meinungen kundzutun. Vor allem von Entscheidungsträgern.

Der „Anzeiger“ meinte weiter, erst unter Bürgermeister Grabfelder habe sich die Gemeinde „nach der Machtübernahme mit großer Energie aus dem Chaos freigemacht“. Es sei deshalb zu verstehen, dass „sie von ganzem Herzen die Beibehaltung der Selbständigkeit wünschte“. Der Verstand müsse aber zum Ergebnis kommen, dass eine Eingemeindung kommen müsse bei zwei Gemeinwesen, „die sich so nah berühren. …

So wählte Bürgermeister Grabfelder den einzig richtigen Weg der freiwilligen Vereinbarung, nachdem einmal der Antrag auf Eingemeindung lief und die Gründe des Antrages nicht zu widerlegen waren.“ Der Gonsenheimer Widerstand, der allerdings schon frühzeitig einknickte, wird hier völlig in eine „freiwillige Vereinbarung“[37] umgemünzt.

Während bei den Eingemeindungen der Mainzer Vororte von 1907 (Mombach[38]) Kastel[39] und Kostheim[40] bis 1930 (Weisenau, Bretzenheim und die Mainspitzgemeinden) Volksfeste stattfanden, gab es am Mittwoch, dem 13. April 1938, nur eine „gemeinsame Sitzung der Ratsherrn der Stadt und der Gemeinderäte von Gonsenheim“ in der Gonsenheimer Gaststätte „Ludwigsbahn“. Der Mainzer Anzeiger schrieb damals: „Dr. Barth erläuterte noch einmal die Gründe, die zu der schnellen Einigung führten.“ Nach einer Zusammenfassung der Vereinbarungen „dankte er Pg. Grabfelder für alles, was er für die Hebung Gonsenheims getan hat und die verständnisvolle Haltung bei den Eingemeindungsverhandlungen.“ Dann sprach auch Bürgermeister Grabfelder. Er „betonte, dass es nicht leicht gefallen sei, die Selbständigkeit der Gemeinde aufzugeben, dass aber größere Interessen auf dem Spiele standen. So habe er die Freiwilligkeit der Verhandlungen vorgezogen und so seien die Belange der Bevölkerung am besten gewahrt worden.“

25 Jahre später erzählte der 82 Jahre alte „Altbürgermeister Grabfelder vom Tauziehen vor dem entscheidenden Federstrich“, wie die Überschrift in dem Bericht der AZ lautet. „Stadt und Staat hatten guten Grund, Bürgermeister und Gemeinderat zu einer schlichten Feier in die Gaststätte ‚Zur Ludwigsbahn‘ einzuladen. … Trotz Blumen und Girlanden schmeckte manchen Beteiligten weder der Paarweck noch die Fleischwurst noch der auserlesene Tropfen aus den städtischen Kellereien. Darüber halfen auch salbungsvolle Reden und gutgemeinte Trinksprüche nicht hinweg. Und die Bürger fügten sich, weil es keine anderen Wege gab …“

Da macht es sich der alte Herr etwas zu einfach. Nicht nur die Bürger fügten sich damals, doch wohl eher der in Verantwortung stehende Bürgermeister, besonders in der Gemeinderatssitzung vom 10. Februar 1938 (s.o.), denn er hatte wohl eher die Möglichkeit, die ablehnende Haltung der von ihm vertretenen Gemeinde zumindest zu Zugeständnissen der Stadt bzw. zu genau formulierten Versprechungen bei den Vertragsverhandlungen zu nutzen oder auch einen Terminaufschub zu erreichen. Immerhin hatte der Oberbürgermeister nach der „Besichtigungsfahrt“ nach Grabfelders eigenen Worten eine bessere Behandlung des Villenvororts u.a. beim Straßenbau und öffentlichen Anlagen als anderer Vororte versprochen. Stattdessen ließ sich Grabfelder bei der gemeinsamen Sitzung am 13. April 1938 vom Oberbürgermeister für „seine verständnisvolle Haltung“ mehrmals danken und sprach selbst "von Freiwilligkeit der Verhandlungen“. Auch der AZ-Reporter von 1963 hat nicht kritisch nachgefragt. Mit seinen Äußerungen drückte sich Grabfelder vor dem Eingestehen der eigenen Mitverantwortung. In den 60-er Jahren waren solche Entschuldigungen der Verantwortungsträger der NS-Zeit an der Tagesordnung, Leute in weit höheren Führungspositionen hätten ohnehin die Entscheidungen getroffen, man selbst habe nichts dagegen tun können, sondern habe einer Gehorsamspflicht gegen Anweisungen von oben folgen müssen.

Da 1963 die Eingemeindung von den Gonsenheimern akzeptiert worden war, wurden Grabfelders Äußerungen hingenommen. Auch nach dem 2. Weltkrieg „waren die Verflechtungen so vielseitig, dass an ein Nebeneinanderleben von beiden Seiten nicht mehr zu denken gewesen wäre.“[41]

Der Vertrag vom 18. März 1938[42]

 Zwischen der Stadt Mainz, vertreten durch ihren Oberbürgermeister , einerseits, und der Gemeinde Gonsenheim, vertreten durch ihren Bürgermeister, andererseits, wird nach Beratung mit den Ratsherren der Stadt Mainz und den Gemeinderäten der Gemeinde Gonsenheim – vorbehaltlich der Bestätigung durch den Herrn Reichsstatthalter in Hessen (§ 14 Abs. 3 DGO.)[43] – folgender Vertrag abgeschlossen:

§ 1 Allgemeines

 Die Stadt Mainz und die Gemeinde Gonsenheim sind sich darüber einig, dass die Gemeinde Gonsenheim zur Förderung des Ausbaues der gemeinsamen Garnison, die beiden Gemeinwesen zum Vorteil gereichen soll, und aus anderen Gründen des öffentlichen Wohles in die Stadt Mainz eingegliedert werden soll. Den Tag der Rechtswirksamkeit bestimmt gemäß § 15 Abs. 1 DGO. der Herr Reichsstatthalter in Hessen. Mit dem Zeitpunkt der Eingliederung wird die Stadt Mainz Rechtsnachfolgerin der Gemeinde Gonsenheim. Der bisherige Bezirk der Gemeinde Gonsenheim erhält nach der Eingliederung die Bezeichnung „Mainz – Gonsenheim“.

§ 2 Übergang der Verwaltung auf die Stadt Mainz

 

Mit dem Tage der Eingliederung übernimmt die Stadtverwaltung Mainz die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten von Gonsenheim sowie die der Gemeinde zugewiesenen Auftragsangelegenheiten.

In Mz.-Gonsenheim bleibt eine örtliche Verwaltungsstelle bestehen. Ferner werden ein Standesamt und ein Ortsgericht dort verbleiben. Es wird dafür gesorgt werden, dass die Entrichtung gemeindlicher Abgaben und Gefälle in Mainz-Gonsenheim an bestimmten Tagen erfolgen kann, sowie dass die Fürsorgeunterstützungen für die Bewohner dieses Stadtteils an Ort und Stelle ausgezahlt werden.

Für die Dauer der derzeitigen Amtszeit der Ratsherren der Stadt sollen drei Gonsenheimer Bürger zu Ratsherren berufen werden.

§ 3 Beamte, Angestellte und Arbeiter

Die Beamten, Angestellten und Arbeiter der Gemeinde Gonsenheim werden von der Stadt Mainz übernommen.[44] Für die hauptamtlichen Beamten regeln sich die Rechtsfolgen nach Kapitel V des Reichsgesetzes vom 30. Juni 1933 (RGBl.[45] I. Seite 433). Dies gilt sinngemäß für die gemeindlichen Angestellten. Der derzeitige Bürgermeister wird als Ortsvorsteher des Stadtteils Mainz-Gonsenheim Beamter der Stadt Mainz auf Lebenszeit in seiner bisherigen Besoldungsgruppe. Die Amtszeit der Ehrenbeamten ist mit dem Zeitpunkt der Eingliederung beendet.[46]

Die Arbeiter der Gemeinde Gonsenheim werden unter den Bedingungen, unter denen sie zum Zeitpunkt der Eingliederung beschäftigt sind, in den Dienst der Stadt Mainz übernommen.

Die der Hessischen Versicherungsanstalt für gemeindliche Beamte in Darmstadt angehörenden Beamten, Angestellten und Arbeiter der Gemeinde Gonsenheim haben ihre Rechtsbeziehungen zu der Versicherungsanstalt gemäß dem Verlangen der Stadt Mainz zu gestalten. Die für die freiwillige Fortsetzung der Versicherung oder die Aufrechterhaltung der bis dahin erworbenen Anwartschaft zu zahlenden Beiträge, Umlagen und Anerkennungsgebühren werden durch die Stadt Mainz übernommen. Die Versicherten haben dagegen die ihnen aus der Versicherungsanstalt zukommenden Leistungen an die Stadt abzutreten.

Die Leistungen der Versicherungsanstalt werden auf die Leistungen, die die Stadt Mainz auf Grund dieses Paragraphen zu gewähren hat, angerechnet. Auf jeden Fall erhalten die Versicherten die höhere Versorgung.

§ 4 Einwohner und Bürger[47]

Alle Einwohner und Bürger der Gemeinde Gonsenheim werden, soweit nicht in diesem Vertrag etwas anderes bestimmt ist, grundsätzlich den Einwohnern und Bürgern der Stadt Mainz gleichgestellt. Soweit die Wohnung oder der Aufenthalt in der Gemeinde für Rechte und Pflichten maßgebend ist, wird die Dauer der Wohnung oder des Aufenthaltes in der Stadt Mainz angerechnet.

§ 5 Ortsrechte

Das Ortsrecht der Stadt Mainz soll in Mainz-Gonsenheim ein Jahr nach der Eingliederung in Kraft treten, soweit nicht in diesem Vertrag etwas anderes bestimmt ist. Die Ortsbausatzung und die Baupolizeiordnung sowie alle sonstigen baurechtlichen Bestimmungen der Gemeinde Gonsenheim bleiben über den in Absatz 1 festgesetzten Zeitpunkt hinaus in Kraft. Den Zeitpunkt des Außerkrafttretens bestimmt der Oberbürgermeister der Stadt Mainz nach Anhörung der Ratsherren.

§ 6 Steuern

Die gemeindlichen Steuern im Stadtteil Mainz-Gonsenheim werden im Rechnungsjahr 1938 noch nach den für die Gemeinde Gonsenheim beschlossenen Sätzen erhoben.[48] Vom Beginn des Rechnungsjahres 1939 ab werden die Gemeindesteuern nach den jeweils gültigen Mainzer Sätzen berechnet, soweit nicht nachstehend etwas anderes bestimmt ist.

Die Grundsteuer wird in den Rechnungsjahren 1939 und 1940 mit den gleichen Hebesätzen wie im Rechnungsjahr 1938 erhoben. In den Rechnungsjahren 1941 bis 1943 einschließlich wird sie stufenweise an die Grundsteuerhebesätze der Stadt Mainz angeglichen. Die Bürgersteuer wird für die Kalenderjahre 1938 bis 1943 einschließlich mit dem bisherigen Hebesatz (500 v. H.) erhoben. Die Angleichung an den Bürgersteuerhebesatz der Stadt Mainz erfolgt im Kalenderjahr 1944.

Bezüglich der Hundesteuer werden die zurzeit in Gonsenheim gültigen gemeindlichen Sätze einschließlich des bisherigen staatlichen Satzes für den ersten Hund bis einschließlich 31. März 1944 beibehalten. Bis zum gleichen Zeitpunkt wird auch die Vergütungssteuer nach den zurzeit in Gonsenheim geltenden Bestimmungen erhoben.

§ 7 Tarife

Für das Rechnungsjahr 1938 werden im Stadtteil Mainz-Gonsenheim die bisherigen Tarife für Gas, Wasser und Strom beibehalten. Vom Beginn des Rechnungsjahres 1939 ab werden die Mainzer Tarife eingeführt, soweit nicht die Bestimmungen der Preisstopverordnung entgegenstehen oder nachstehend etwas anderes festgelegt ist. Die zurzeit von der Gemeinde Gonsenheim festgesetzten Preise für Wannen-Brausebäder[49] werden bis zum 31. März 1948 nicht erhöht. Der den Gärtnereien von der Gemeinde Gonsenheim zugestandene ermäßigte Wasserpreis wird bis zum 31. März 1950 beibehalten.

§ 8 Erhaltung bestehender Einrichtungen

Die Sportplatzanlage in der Kapellenstraße wird dem Stadtteil Mainz-Gonsenheim erhalten bleiben. Die Anlage wird den Gonsenheimer Sportvereinen auf die Dauer von fünf Jahren unentgeltlich zur Benutzung überlassen. Das gleiche gilt für die NSDAP und ihre Gliederungen sowie für die Gonsenheimer Schuljugend. Im Stadtteil Mainz-Gonsenheim wird die zurzeit bestehende freiwillige Feuerwehr in vollem Umfange beibehalten. Die Stadt unterhält die Wehr in Uniform und Ausrüstung, so dass sie jederzeit schlagfertig eingesetzt werden kann.

§ 9 Friedhofs- und Beerdigungswesen

 

Der derzeitige, nur für die Einwohner der bisherigen Gemeinde Gonsenheim bestimmte (neue) Friedhof verbleibt auf dem jetzigen Platze und soll später in nördlicher Richtung erweitert werden. Bewohner des Stadtteils Mainz-Gonsenheim, die im übrigen Stadtbezirk versterben, können auf Wunsch auf dem Friedhof Mainz-Gonsenheim beerdigt werden. Das zurzeit in Mainz-Gonsenheim bestehende Beerdigungswesen wird solange beibehalten, bis auf dem neuen Friedhof eine Leichenhalle errichtet ist. Die Stadt Mainz wird die von der Gemeinde Gonsenheim geplante Leichenhalle mit Wohnung innerhalb drei Jahren errichten. Alsdann haben sämtliche Beerdigungen von dem Friedhof aus stattzufinden.

§ 10 Landwirtschaft

Die im Interesse der Landwirtschaft in Gonsenheim bestehenden Einrichtungen, insbesondere die Faselhaltung[50], werden, solange ein Bedürfnis dafür vorhanden ist, erhalten. Städtisches Ackerland in der Gemarkung Gonsenheim wird im Falle einer Verpachtung vorzugsweise an Landwirte des Stadtteils Mainz-Gonsenheim vergeben werden. Auf die Instandhaltung und Verbesserung der Feldwege wird besonders Rücksicht genommen.

Die in der Gemarkung Gonsenheim liegenden Bäche werden ordnungsmäßig unterhalten, damit die Gefahr einer Überschwemmung bei starken Niederschlägen unterbunden wird.

§ 11 Schlachthauszwang

Wer zurzeit in der Gemeinde Gonsenheim eine Metzgerei betreibt und ein eigenes, den hygienischen und baupolizeilichen Vorschriften entsprechendes Schlachthaus besitzt, ist bis zum 31. März 1943 vom Schlachthauszwang befreit. Für alle anderen Personen, insbesondere für neu in Gonsenheim sich niederlassende Metzger, wird der Schlachthauszwang mit der Eingliederung eingeführt. Ausgenommen vom Schlachthauszwang bleiben die steuerermäßigten Hausschlachtungen, d.h. nicht gewerbliche Schlachtungen von selbstgezogenen Kälbern und Schweinen oder Schlachtungen von über drei Monaten im eigenen Stall gehaltenen Schweinen, sofern die Schlachtung für den eigenen Haushalt erfolgt.

Soweit der Schlachthauszwang nicht eingeführt wird, bleibt es bei der bisherigen Regelung. Die beiden zurzeit vorhandenen Fleischbeschauer werden unter den bisherigen Verhältnissen von der Stadt weiter beschäftigt.

§ 12 Verkehrswesen

Die Stadt Mainz wird im Stadtteil Mainz-Gonsenheim als Villenvorort von Mainz und Ausflugsziel der Mainzer Bevölkerung für eine Verbesserung der derzeitigen Verkehrsverbindungen sorgen.

In Weiterverfolgung ihres bereits vor Monaten gestellten Antrags auf Übernahme des Vlasdeck-Omnibusbetriebs wird die Einführung einer öffentlichen Omnibuslinie Gonsenheim – Mainz möglichst schon zum 1. April 1938 angestrebt.[51] Sie wird ihren Straßenbahn- und Omnibustarif so gestalten, dass die Möglichkeit einer Anfahrt von Gonsenheim nach Mainz-Hauptbahnhof zum Preise von 25 Rpf. für die einfache Fahrt bestehen wird.

§ 13 Bauwesen u. Öffentliche Anlagen

Die Stadt Mainz wird das Bau- und Wohnungswesen in der bisherigen Gemarkung Gonsenheim in jeder Weise fördern und unterstützen. Insbesondere wird die Stadt zur Förderung des Wohnungsbaues das in ihr übergehende Baugelände der bisherigen Gemeinde Gonsenheim in geeigneter Weise verwerten.[52] Hinsichtlich der Preisgestaltung für Baugelände im Stadtteil Mainz-Gonsenheim wird die Stadt in den nächsten 5 Jahren die Grundsätze der bisherigen Gemeinde Gonsenheim anwenden, soweit nicht in den Verhältnissen eine wesentliche Änderung eintritt.

Außer den von der Gemeinde Gonsenheim geplanten und im Rahmen des Sonderhaushaltsplanes des Stadtteils Mz.-Gonsenheim für das Rj. 1938 noch auszuführenden Bauvorhaben wird die Stadt Mainz, sobald es die Verhältnisse erlauben, die folgenden Projekte durchführen:

1) den Ausbau des vorhandenen HJ-Heimes oder die Errichtung eines neuen Heimes,

2) die Errichtung eines NS-Kindergartens auf dem der Gemeinde Gonsenheim gehörigen Waldgelände des alten Friedhofes,

3) die Errichtung eines Freischwimmbades. Dieses Projekt wird spätestens innerhalb der nächsten 5 Jahre zur Durchführung kommen.

Die Stadt Mainz wird für die Erhaltung des Gonsenheimer Waldes als wesentlichem Erholungsgebiet für Groß-Mainz besorgt sein und das Waldgebiet nach Möglichkeit durch Hinzukauf von privatem Waldbesitz ergänzen. Das Ortsbebauungsgebiet wird nur insoweit ausgedehnt werden, als es im Interesse des Waldes zulässig erscheint. Das Bebauungsgebiet soll, soweit es an den Wald grenzt, nach Norden mit der Theodor-Körner-Straße, der Straße am Sportplatz und den Schießständen, nach Westen mit der 14-Nothelfer-Straße abschließen.

Unberührt bleiben militärische Anlagen und andere öffentliche Interessen höherer Ordnung.

Die vorhandenen öffentlichen Erholungsanlagen werden von der Stadt Mainz ordnungsgemäß unterhalten und, soweit notwendig, erweitert. Der Schillerplatz[53] soll in absehbarer Zeit zu einer gärtnerischen Anlage umgestaltet werden. Bei dem Ausbau des Stadtteils Mz.-Gonsenheim wird die Stadt Mainz auf die Errichtung weiterer Grünanlagen besonders bedacht sein.

 § 14 Haushaltsplan

Bis zum 31. März 1939 wird die Verwaltung des Stadtteils Mz.-Gonsenheim auf Grund des für die Gemeinde Gonsenheim für das Rj. 1938 aufgestellten und als Sonderplan in den Haushaltsplan der Stadt Mainz aufzunehmenden Voranschlags geführt, insoweit nicht durch die Eingliederung Abweichungen hiervon bedingt sind.

 § 15 Veränderungen in den jetzigen Verhältnissen

Die Gemeinde Gonsenheim erteilt die Zusicherung, dass sie sich von jetzt ab bis zur Eingliederung aller Maßnahmen enthalten wird, die der Finanzlage der Stadt Mainz Nachteil bereiten oder die die Verhältnisse, auf Grund deren die vorstehenden Vereinbarungen eingegangen sind, verändern könnten. Insbesondere darf eine Veränderung der Dienst- und Einkommensverhältnisse der Beamten, Angestellten und Arbeiter der Gemeinde Gonsenheim von jetzt ab ohne Zustimmung der Stadt Mainz nicht mehr vorgenommen werden.

 

Mainz           , den 18. März 1938.

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Gonsenheim

 

Für die Stadt Mainz:                                         Für die Gemeinde Gonsenheim:

Der Oberbürgermeister:                                     Der Bürgermeister

gez.: Dr. Barth  (L.S.)[54]                                     gez.: Grabfelder

 

In einem Vorentwurf gibt es noch interessante Gesichtspunkte, die im schnell erstellten kurzen Vertrag nicht mehr auftauchen. Vorentwurf § 11 a: Mit der Begründung, dass die landwirtschaftliche Bevölkerung erst spät von der Feldarbeit nach Hause komme, soll „in der Zeit von Mai bis einschließlich September der Ladenschluss für alle Lebensmittel- und Kolonialwarengeschäfte auf 21 Uhr festgesetzt“ werden. § 11 c Der Termin der Gonsenheimer Kirchweihe ist auf den ersten Sonntag des Monats August festgelegt. Dieser Termin wird auch für den Stadtteil Mainz-Gonsenheim festgelegt, solange ein anderer Wunsch nicht vorgetragen wird. Das für alle Volksbelustigungen vorhandene Messegelände an der Budenheimerstraße, begrenzt nördlich von der Straße der SA und der Heidesheimerstraße und südlich von der Heidesheimerstraße, wird in vollem Umfange für alle Volksbelustigungszwecke erhalten und niemals bebaut. Der Geschäftsschluss für Fahr-, Belustigungs- und Verkaufsgeschäfte bleibt für die nächsten Jahre auf 24 Uhr bestehen.

Die Eingemeindungsverträge mit anderen Vororten zuvor waren detaillierter abgefasst. Im Falle Kastels verpflichtete sich die Stadt 1908 zu bedeutenden Leistungen, die Mainz mehr als einhielt, wenn man zusätzlichen Wohnungsbau berücksichtigt.[55]

In einem Entwurf heißt es ganz schroff: „Aus militärischen Gründen soll die Eingemeindung beschleunigt und bis zum 1. April 1938 durchgeführt sein.“ Der Entwurf der Stadt Mainz enthält entsprechend der detaillierten und auch heute noch nachvollziehbaren Begründung des Oberbürgermeisters Dr. Barth eine ausgleichende Formel: „Die Stadt Mainz und die Gemeinde Gonsenheim sind darüber einig, dass die Gemeinde Gonsenheim aus Gründen des öffentlichen Wohles in die Stadt Mainz eingegliedert werden soll.“ Ein ausdrücklich als Gonsenheimer Vorentwurf bezeichnetes Schriftstück fehlt, ist wohl auch kaum denkbar. Im endgültigen Vertragstext heißt es nun: „Die Stadt Mainz und die Gemeinde Gonsenheim sind darüber einig, dass die Gemeinde Gonsenheim zur Förderung des Ausbaues der gemeinsamen Garnison, die beiden Gemeinwesen zum Vorteil gereichen soll, und aus anderen Gründen des öffentlichen Wohles in die Stadt Mainz eingegliedert werden soll.“

Hier wird eins deutlich. Die Stadt Mainz wollte die Eingemeindung, aber weitgehend aus wirtschaftlichen, nicht aus militärischen Gründen, Dr. Barth hat diese aber gerne doch auch als Druckmittel in seinem Gutachten v. 3. Januar 1938 formuliert. Er hatte auch nicht einen sofortigen Vollzug gefordert. Die Gonsenheimer waren in ihrer Mehrheit dagegen. Die militärischen Gründe, die im Entwurf als einzige Ursache für eine auch noch „beschleunigte“ Eingemeindung bis zum 1. April 1938 angegeben und im endgültigen Vertragstext mit „Gründen des öffentlichen Wohles“ etwas verbrämt werden, sind wohl die Hauptauslöser für den Sofortvollzug.

Vorteile und Versprechungen für Gonsenheim findet man kaum. Neben der Übernahme der Gemeindebeamten, Angestellten und Arbeiter (§ 3) und dem Erhalt einer „örtlichen Verwaltungsstelle“ mit Standesamt und Ortsgericht (§ 2) werden nur Garantien der Erhaltung bestehender Einrichtungen ausgesprochen, Verbesserungen sind nur allgemein formuliert: Erhalt der Sportplatzanlage, die Ausrüstung der Freiwilligen Feuerwehr (§ 8), Friedhof (§ 9), Einrichtungen der Landwirtschaft wie Verbesserung und Unterhaltung der Bäche (§ 10), Verbesserung der Verkehrsverhältnisse (§ 12).

Eher als verpflichtende Verbesserungen kann man ansehen die Förderung des Wohnungsbaus auf bisherigem Gemeindegelände und der Bau eines neuen HJ-Heims, eines NS-Kindergartens, „der Leichenhalle mit Wohnung innerhalb 3 Jahren“ (§ 9) und eines „Freischwimmbades … innerhalb der nächsten 5 Jahre“ (§11) sowie die Erhaltung des Erholungsgebietes Gonsenheimer Wald und die Errichtung weiterer Grünanlagen wie z.B. dem Schillerplatz (heute Josef-Ludwig-Platz).

Der Gonsenheimer kann im Jahre 2008 selbst beurteilen, was daraus geworden ist, allerdings liegen 70 Jahre dazwischen. Bei so allgemein gehaltenen Formulierungen ist eine Beurteilung auch schwierig. Wie wird heute die Feuerwehr den § 8 beurteilen: „Die Stadt unterhält die Wehr in Uniform und Ausrüstung, so dass sie jederzeit schlagfertig eingesetzt werden kann.“ Was hieß im „3.Reich“ „schlagfertig“? Ein Begriff, der sich eigentlich auf die Straßenkämpfe Anfang der 30-er Jahre oder auch die Wehrmacht bezieht. Heißt „schlagfertig“ auch modern ausgerüstet? Ein Freischwimmbad innerhalb von 5 Jahren (§ 13) durfte man natürlich 1943 – mitten im Krieg – nicht erwarten. Doch ein solches, zwischen Gonsenheim und Mombach gelegen, kam erst 1974[56] – 36 Jahre später - zustande.

Teil 3: Die Reaktion der Gonsenheimer auf die Zwangseingemeindung von 1938 nach dem Ende der NS-Herrschaft (1945 ff.)

Franz Ludwig Alexander (Bürgermeister 1913/14, 1918-1933, 1945-1949) war 1913 zum ersten hauptamtlichen Bürgermeister von Gonsenheim gewählt worden, wurde aber im 1. Weltkrieg von 1914 bis 1918 als Offizier eingesetzt. Im Juli 1918 übernahm er wieder seine Amtsgeschäfte, bis die Nationalsozialisten ihn im Juni 1933 zum Rücktritt zwangen. Doch im März 1945 berief ihn die Militärregierung wieder an die Spitze des Mainzer Vorortes Gonsenheim. Obwohl in dem Eingemeindungsvertrag von 1938 der Gonsenheimer Bürgermeister zum Ortsvorsteher degradiert worden war, benutzten alle – auch die Presse – die althergebrachte Amtsbezeichnung. Im Jahre 1949 wurde Alexander in den Ruhestand versetzt.[57] Sein Nachfolger wurde durch die Wahl des Mainzer Stadtrates im September 1949 Josef Ludwig, der seit 1923 dem Gemeinderat angehörte und bereits 1927 Vorsitzender der Zentrumsfraktion wurde, aber auch 1933 entlassen wurde. Nach dem Einmarsch der Amerikaner wurde er 1945 in den Stadtausschuss berufen und 1946 bei der Kommunalwahl in den ersten Stadtrat gewählt. Der Bericht der Mainzer „Allgemeinen Zeitung“ über ein Interview mit dem neuen Gonsenheimer Bürgermeister trägt die programmatische Überschrift: „Wir wollen Mainz nicht im Stich lassen.“ Gonsenheim sei als „wohlhabende Gemeinde“ gegen den Willen der Bevölkerung eingemeindet worden. Obwohl die Stadt die gemachten Versprechungen bisher nicht eingelöst habe, wolle er sich nicht „zum Wortführer der ‚Los-von-Mainz-Bestrebungen‘ hergeben. Wir wollen als Gonsenheimer um unsere Rechte kämpfen, aber wir dürfen das zerschlagene Mainz nicht im Stich lassen.“[58] Einzelne Rufe nach Ausgemeindung gab es also schon, doch angesichts der verheerenden Verwüstung von Mainz wollte die Mehrheit der Gonsenheimer bei Mainz bleiben; man kam ab von dem Gedanken, so Philipp Becker 1999, sich wieder von der Stadt trennen zu wollen.[59] Der für die Eingemeindung zuständige ehemalige NS-Bürgermeister Grabfelder dankte 1963 – nach 25 Jahren - sogar „Josef Ludwig und seinen engsten Freunden, dass sie es abgelehnt haben, nach dem Krieg unter Zuhilfenahme der Besatzungsmacht diese ehemalige Zwangseingemeindung rückgängig zu machen.“[60] Doch Josef Ludwig konnte nicht lange für die Gonsenheimer und Mainzer Belange „kämpfen“. Nach nur kurzer Amtszeit starb er am 23.11.1949 im Alter von 52 Jahren.[61]

1949 Die Berufung von Ortsbeiräten

Der Beginn der demokratischen Kommunalpolitik und damit eines staatlichen Wiederaufbaus „von unten nach oben“ erfolgte mit den Kommunalwahlen am 15. September 1946, den ersten freien Wahlen seit der Reichstagswahl vom November 1932. Bei einer Wahlbeteiligung in Groß-Mainz von 87 % siegte die CDU mit 42 %, gefolgt von der SP mit 30 % und der KP mit 12 %. Noch fehlte in der Nachkriegszeit in der französischen Besatzungszone das D für Deutschland bei den Arbeiterparteien. Dem Wahlergebnis entsprechend erhielten im Stadtrat mit 36 Sitzen die CDU 16, die SP 11, die KP 5 und die beiden Freien Listen 3 bzw. 1 Sitze. 30 Stadträte bestätigten Oberbürgermeister Kraus. Da sich aber bei den nächsten Kommunalwahlen 1948 die SPD gegen die CDU durchsetzte, wurde im Februar 1949 der Sozialdemokrat Franz Stein Oberbürgermeister und blieb es 16 Jahre lang.[62]

Bei beiden Wahlen siegte in Gonsenheim die CDU mit abnehmender Zustimmung.

1946:    CDU     3.101    SP       1.655    KP       542                                          Freie Liste Demokr.       542

1948:    CDU     2.274    SP       1.622    KP       386       DP       386

Erschreckend war die Wahlbeteiligung der Gonsenheimer 1948. Von 8.679 Wahlberechtigten gaben nur 5.549 ihre Stimme ab, das waren nur knapp 64 %. Rechnet man die 505 ungültigen Stimmen auch noch ab, dann hatten nur knapp 51 % eine gültige Stimme abgegeben.[63] Kann daraus eine Abneigung gegen den Stadtrat bzw. die Stadt Mainz gelesen werden?

Das vom rheinland-pfälzischen Landtag beschlossene Selbstverwaltungsgesetz trat am 1.8.1948 in Kraft und wurde in den späteren Fassungen von 1954 und 1964 nur ergänzt und überarbeitet.[64] Schon im April 1949 forderte der für die Vororte zuständige Bürgermeister Hufschmidt (SPD) die Ortsverwaltungen auf, Beiräte „paritätisch nach den Ergebnissen der letzten Wahl“ zu berufen. Die Parteivorstände sollten geeignete Personen zur konstituierenden Sitzung zusammenrufen. Zu den Sitzungen müsse der Ortsvorsteher nach Bedarf den Beirat einladen und auch den Vorsitz führen. Der Beirat solle über alle den Stadtteil betreffenden wichtigen „Vorgänge“ informiert werden und dann darüber beraten z.B. „bei Vermietungen und Verpachtungen, die von den zuständigen städtischen Dienststellen beabsichtigt sind, Bauvorhaben, Straßenbenennungen, Wohnungsangelegenheiten usw. Stadtratsmitglieder des Ortes sollten dem Beirat angehören.[65] „Bürgermeister“ Alexander, eigentlich nur noch „Ortsvorsteher“, schrieb mit seinem alten Titel Ende Mai 1949 an den Mainzer Bürgermeister Hufschmidt, es bestehe schon seit Jahren ein „Ortsausschuss, der bei allen wichtigen Angelegenheiten vom Ortsvorsteher zu Rate gezogen“ werde. Jede Partei habe ein Mitglied. Wünsche der Parteien nach einer Erweiterung beständen nicht.[66] Nach dem Tod des Ortsvorstehers Josef Ludwig bat sein Nachfolger Ludwig Diefenbach die Ortsbeiräte, ihn „nicht nur beratend, sondern auch in freundschaftlicher Weise in der Ausübung seines Amtes zu unterstützen.“ Auch er war sich bewusst, dass „Gonsenheim in dem Rahmen der Stadt Mainz eine besondere Stellung einnimmt.“ Er wolle alles tun, „dass es seinen ursprünglichen Charakter als Villenvorort behält.“[67] Doch drei Jahre später musste Diefenbach feststellen, „dass Gonsenheim auf dem besten Weg war, aus den Kriegsschäden und Kriegsfolgen herauszukommen … und sich dank seiner schönen Lage zu einem begehrten Wohngebiet und Ausflugsziel zu entwickeln. … doch durch die Besatzung auf Jahre zurückgeworfen wird.“[68]

Die Sonderstellung Gonsenheims schlug sich auch in der Zahl der Ortsbeiratsmitglieder nieder. Der Hauptausschuss des Stadtrates wollte die Zahl in allen Vororten auf 6 beschränken, wogegen sich Diefenbach wehrte, so dass „dem Stadtteil Mainz-Gonsenheim 10 Mitglieder einschl. dem Vorsitzenden zugebilligt“ wurden.[69] Im Juni 1950 entschied sich der Stadtrat für 10 namentlich bestimmte Mitglieder[70], als Ergebnis der Kommunalwahlen von 1948. Eine Direktwahl des Ortsbeirats durch die Gonsenheimer Bürger sollte erst Jahrzehnte später eingeführt werden. Auch die Aufgabenbereiche des Ortsbeirats waren genau festgelegt:

"a) Beratung der Stadtverwaltung in allen Angelegenheiten der Stadtteile,

b) Begutachtung der Fragen, die ihm vom Oberbürgermeister oder dem Stadtrat überwiesen werden,

c) Erledigung einzelner Angelegenheiten im Rahmen des Städtischen Haushaltsplanes, die von den zuständigen Körperschaften dem Ortsbeirat überwiesen werden.“

Das hieß damals, nur wenn die Mainzer Verwaltung mit Fragen an den Ortsbeirat herantrat, durfte dieser darüber diskutieren und das Ergebnis dem OB bzw. dem Stadtrat mitteilen, ohne einen Einfluss auf die Entscheidung zu haben, es sei denn durch die Gonsenheimer Stadtratsmitglieder bzw. durch überzeugende Argumente. Außerdem war die Stadt nicht verpflichtet, alle Gonsenheimer Angelegenheiten, die in der Stadtverwaltung behandelt wurden, dem Ortsbeirat mitzuteilen. Der Ortsbeirat durfte nicht von sich aus initiativ werden, es sei denn durch seine Stadtratsmitglieder, er durfte praktisch nur antworten, wenn er gefragt worden war. Bei einer solchen Einflusslosigkeit war die Zahl der Ortsbeiratsmitglieder kaum von Belang, zehn durften genauso viel oder wenig sagen wie sechs.

Außerdem hatte der Stadtrat beschlossen, dass es dem Oberbürgermeister bzw. seinem Vertreter möglich gemacht werden müsse, an den Sitzungen der Ortsbeiräte teilzunehmen, worauf dieser eine Anordnung erließ, dass solche Sitzungen rechtzeitig angemeldet werden müssten. Bürgermeister Hufschmidt erklärte dem Gonsenheimer Beirat, „dass ein gemeinsames, ersprießliches Zusammenarbeiten sich nur zum Wohle der Vororte und damit der Stadt Mainz auswirken kann.“[71] Andererseits durfte der Ortsbeirat auch nicht von sich aus tagen.

Entsprechend der Stadtratswahl von 1952 entfielen auf SPD 4, CDU 4 und FDP 1 Sitz(e) im Ortsbeirat. Darauf benannten die Parteien ihre Vertreter, die der Stadtrat erst genehmigen musste.[72] In der 2. Sitzung des Stadtrats am 11. 12. 1952 wurde Georg Taulke (SPD) mit Stimmenmehrheit zum neuen Ortsvorsteher von Gonsenheim gewählt. Im Januar 1953 wurde er von Bürgermeister Hufschmidt in sein Amt eingeführt.[73]

Gegenseitige Beschwerden von Stadt und Vorort

Es sind denn auch der Ortsvorsteher und die Gonsenheimer Stadträte, die Initiativen ergreifen oder sich in der Öffentlichkeit zu Wort melden. Im März 1951 meinte der Ortsvorsteher Diefenbach in den Gonsenheimer „Amtlichen Nachrichten“, dass „die Wohnungsnot in Mainz-Gonsenheim“ auch mit „Unterlassungssünden und Fehlleistungen der Stadtverwaltung“ zusammenhinge. Für eine Bevorzugung anderer Vororte nannte er den Neubau von 100 Wohnungen in Weisenau. Der zuständige Bürgermeister Hufschmidt wies das in einem Schreiben energisch zurück. Diefenbach verteidigte sich, er wolle keinen Vorort diskriminieren, aber es „sei seine Pflicht, für Gonsenheim ebenso zu sorgen wie andere Bürgermeister und Ortsvorsteher für ihre eigenen Vororte und Verwaltungen.“[74]

Eigenmächtige Handlungsweisen des Ortsvorstehers wegen der Übergehung des Oberbürgermeisters wurden mehrfach beanstandet. Im September 1953 rügte OB Stein den Gonsenheimer Ortsvorsteher Taulke, „er stelle keine Behörde dar und könne sich deshalb auch nicht an übergeordnete Behörden, wie die Landesregierung, wenden, u. a. wegen der Regulierung des Gonsbachs. Der Dienstweg müsse stets eingehalten werden.[75] Der OB forderte am 11. Juni 1954, die Einladungen zu Ortsbeiratssitzungen müssten stets eine Woche vorher erfolgen, damit er oder sein Stellvertreter kommen könnten.[76]

Andererseits wurden auch immer wieder Beschwerden von Gonsenheimer Seite laut, meist in Briefen des Ortsvorstehers. Gonsenheimer Bürger würden zur Stadtverwaltung vorgeladen, obwohl ihre Angelegenheiten auch in der Ortsverwaltung erledigt werden könnten. Maßnahmen städtischer Dienststellen, auch Baumaßnahmen des städtischen Tiefbauamtes, würden der Ortsverwaltung nicht mitgeteilt, so dass der Ortsvorsteher auf Fragen betroffener Bürger nicht antworten könnte. Das Tiefbauamt würde eigenmächtig Baumaterialien in Gonsenheim lagern.[77]

1954 Gonsenheimer Forderungen: Ausgemeindung, Erfüllung des Eingemeindungsvertrages usw. Als einziges Ergebnis: die Festlegung der Befugnisse des Ortsbeirats im Selbstverwaltungsgesetz

Der 1. Landtag des neuen Bundeslandes Rheinland-Pfalz verabschiedete am 27. September 1948 das Selbstverwaltungsgesetz für die Kommunen des Landes. Knapp vier Jahre später, am 20. März 1952, stellte das Ministerium in einem Runderlass eine erfreuliche Entwicklung der demokratischen Selbstverwaltung fest. Nun sollte das Gesetz novelliert werden.

Als dann wiederum zwei Jahre später der Landtag die Novellierung des Selbstverwaltungsgesetzes zur Sprache brachte, wurde in Gonsenheim die Eingemeindung wiederum diskutiert. Auf vielseitige „Anregungen von mehreren Seiten“ ergriff der Vorsitzende des Gewerbe- und Verkehrsvereins Ministerial-Dirigent Dr. Bieroth die Initiative und lud alle Vereinsvorsitzenden, Parteivorsitzenden, Ortsbeiräte und Vorstandsmitglieder für den 28. Mai 1954 in das Gasthaus Franz Xaver Becker in der Grabenstraße ein. Einziger Punkt der Tagesordnung war: „Der Eingemeindungsvertrag der Stadt Mainz und der Gemeinde Gonsenheim“. 33 Vereine, Pfarreien und Parteien und die Ortsbeiratsmitglieder (4 CDU, 3 SPD, 2 FDP, 1, KPD[78]) wurden eingeladen. 23 Personen waren anwesend. Ortsvorsteher Taulke, der als SPD-Vertreter anwesend war, schrieb drei Tage später einen Brief an den Oberbürgermeister und Parteigenossen Franz Stein sowie an den Dezernenten für Vororte Bürgermeister Hufschmidt. Nach der Verlesung des Vertrages erklärte Dr. Bieroth, „dass er persönlich bereit wäre, auf seine Kosten, den Prozess vor dem Landesverwaltungsgericht auf Ausgemeindung zu führen, wenn es die Mehrheit der Versammlung wünsche.“ Er war von einem Prozessgewinn überzeugt, weil es sich um einen „Zwangsvertrag“ handele, der „außerdem von der Stadt Mainz in fast allen Punkten … kaum eingehalten wurde.“ Die Anwesenden waren damit einverstanden. Doch Ortsvorsteher Taulke versuchte die Gemüter zu beruhigen. „Diese für Gonsenheim so bedeutungsvolle Frage“ könne nicht von den Vereinen, sondern müsse von den „politischen Parteien und der gesamten Bevölkerung“ geklärt werden. Außerdem sei Gonsenheim vom Krieg weitgehend verschont worden und es sei „moralisch verpflichtet“, „der so schwer angeschlagenen Vaterstadt Mainz bei ihrem nicht leichten Aufbau und Existenzkampf zur Seite zu stehen und mitzuhelfen.“ Zwischenrufer wollten darauf wissen, ob er Ortsvorsteher von Gonsenheim oder Mainz wäre. Deshalb rief er zur Sachlichkeit bei einer berechtigten Frage auf und schlug vor, die „Vorstände aller politischen Parteien“ zu einer Sitzung einzuladen und eventuell in einer Bürgerversammlung einen Beschluss zu fassen, wie „grössere Selbstverwaltung“ erreicht werden könne. Nach heftiger Diskussion wurde dieser Vorschlag „mit großer Mehrheit“ angenommen. Von Ausgemeindung war keine Rede mehr.[79]

Was wollte der SPD-Ortsvorsteher mit diesem Brief erreichen? Wollte er seine Verdienste zugunsten der Stadt deutlich machen? Wie er seine Gonsenheimer im Griff habe? Nach dem nervösen Ruf nach Ausgemeindung habe er sie durch einen moralischen Appell zur bloßen Anerkennung von mehr Selbstverwaltung gebracht. So meint man jedenfalls nach der Lektüre. Doch an demselben 31. Mai 1954 schrieb er einen 2. Brief an Oberbürgermeister Stein und Bürgermeister Hufschmidt, in dem seine eigene Meinung und die Ansichten der „angesehensten Gonsenheimer Bürger“ zusammengefasst sind, ein einziges Klagelied über die Nichterfüllung des Eingemeindungsvertrages durch die Stadt Mainz. Gonsenheim verdiene mit seinen 15.000 Einwohnern und 4.500 Besatzungsangehörigen und „als Erholungsort für die Mainzer Stadtbevölkerung … die besondere Beachtung der Stadtverwaltung“, doch 30 neue Bänke habe er durch seine Privatinitiative schaffen lassen. Bei den damaligen Eingemeindungsgesprächen habe die Stadt versprochen, alles zu tun, um „ein Schmuckstück im Reigen der Mainzer Vororte … und die landwirtschaftliche Struktur (zu) erhalten“. „Fremdenverkehrs-Prospekte, Besucher und die ständig wachsende Bevölkerungszahl“ beweisen, dass heute „Gonsenheim als einzigster aller Vororte für Groß-Mainz das Aushänge- und Reklameschild ist, welches die größte Ausdehnungs- und Ausbaumöglichkeiten überhaupt hat.“

Zehn Jahre nach dem Krieg sei es nun an der Zeit, die vertraglichen Zusicherungen zu erfüllen, damit Gonsenheim weiterhin „trotz des verlorenen Krieges das Schmuckstück und die Visitenkarte von Groß-Mainz bleibe.“ Der Ortsvorsteher fasste darauf die an ihn herangetragenen Gonsenheimer Forderungen nach Neubauten von Einrichtungen zusammen, die in anderen Vororten teilweise schon erfüllt seien: Schwimmbad, Friedhofskapelle, Sportplatzausbau, Kinderhort, Spielplätze, Instandsetzung von Straßen und Feldwegen, Regulierung des Gonsbachs. Trotz des Wohnungsmangels in Gonsenheim durch Zerstörungen und Beschlagnahmungen entfalte die Stadt Mainz keine „Hochbautätigkeit“, berücksichtige Gonsenheim nicht bei Landesdarlehen und erschwere durch die Verwaltung die Genehmigung von Bauvorhaben. Die Gonsenheimer Landwirtschaft sei durch den Bau der Panzer- und der Umgehungsstraße schon sehr geschädigt worden.

2 Millionen Mark flössen in die Stadt, nur 0,8 Mio. kämen zurück. Ein Beispiel charakterisiere das Verhältnis von Orts- zur Stadtverwaltung: der jahrelang beantragte Kredit über 5.000 DM zur Renovierung vor dem Verfall „eines der schönsten und kulturhistorisch wertvollsten Rathäuser“ wurde erneut abgelehnt, obwohl in anderen Vororten Renovierungen stattgefunden hätten. Trotz „3 großer rühriger Carnevalsvereine“ könne das Rathaus nicht mit einer „närrischen Fahne“ geschmückt werden. Die Bemühungen der Ortsverwaltung seien immer mit der Bemerkung abgetan worden, „dass in Mainz sämtliche Fahnen gebraucht würden“. Wenn der Ortsvorsteher in Vertretung des Oberbürgermeisters Glückwunsche ausbringen müsse, könne er – aus Ermangelung von Geldmitteln – kein Geschenk mitbringen.

Die Ortsverwaltung werde nicht informiert, wenn Gonsenheimer Belange besprochen werden. Schriftlich vorgebrachte Wünsche und Verbesserungsvorschläge des Ortsbeirats an die zuständigen Dienststellen werden nicht beantwortet, auf Nachfrage hin erhalte man die Antwort, eine Auskunftspflicht bestehe nicht. Mit diesem Klageschreiben wollte Taulke eine bessere Zusammenarbeit zwischen der Stadt- und der Ortsverwaltung erreichen. Auch in diesem Brief gab Taulke die an ihn herangetragenen und von ihm unterstützten Forderungen der Gonsenheimer Mitbürger weiter. Doch betonte er erneut seine Verdienste; „Versäumnisse der Stadt versuche er persönlich unermüdlich zu überbrücken, damit das Ansehen der Stadtverwaltung und die Ideale, denen wir gemeinsam dienen, in jedem Falle kritiklos dastehen.“ Das klingt, als ob er trotz aller Anfeindungen gegen die Stadt diese mutig verteidige. Was meinte er aber mit „Ideale“? Briefschreiber und die beiden Empfänger gehörten alle drei der SPD an! Er hoffte jedenfalls, dass sich mit seinem Schreiben die „Gonsenheimer Atmosphäre läutere“ und „eine etwas bessere Zusammenarbeit zwischen Stadt- und Ortsverwaltung erreicht“ werde.[80]

Zur Vorbereitung auf die Neufassung des Selbstverwaltungsgesetzes besuchte eine Delegation von Landtagsabgeordneten mit Vertretern der Stadt Mainz die Ortsbeiräte der Vororte, um die Meinung der Ortsvertreter zur Zusammenarbeit zwischen der Stadt und den eingemeindeten Vororten zu „erforschen“, um notwendige Ergänzungen und Abänderungen in das neue Gesetz einzubringen. Am Donnerstag, dem 3. Juni 1954, fand eine solche denkwürdige, weil einmalige Zusammenkunft auch im Gonsenheimer Gasthaus „Zum Löwen“ statt.[81] Ortsvorsteher Taulke erklärte eindringlich, dass Gonsenheim als größter Vorort eine größere Selbstverwaltung und Bewegungsfreiheit wünsche.[82] Alle Gonsenheimer Vertreter stimmten zu[83], worauf Bürgermeister Hufschmidt und Stadtrat Ledroit energisch konterten, Gonsenheim sei im Unrecht, weil die Stadt mehr Geld in den Vorort hineinstecke als von dort an Steuern eingingen. In der kurz zuvor stattgefundenen Stadtratssitzung hätten die vier Gonsenheimer Vertreter nicht widersprochen. Zum Abschluss der regen zweistündigen Diskussion erbat der Leiter der Delegation vom Ortsvorsteher den Eingemeindungsvertrag und eine genaue Begründung für eine größere Selbstverwaltung Gonsenheims.[84]

Am Montag, dem 14. Juni, trafen sich die Gonsenheimer Parteienvertreter zu einem Gespräch über den Besuch der Landtagsdelegation im Gasthaus „Gutenberg“. Für alle war befremdlich, dass Bürgermeister Dr. Schwahn anwesend war. Es stellte sich heraus, dass der Ortsvorsteher am Morgen bei einer Besprechung mit dem OB das abendliche Zusammentreffen der Parteien angesprochen hatte. Von einem Besuch aus der Stadt war nichts erwähnt worden, doch der OB hatte trotzdem den Bürgermeister als seinen Vertreter aufgefordert, in Gonsenheim zu erscheinen. Alle Gonsenheimer wollten aber ohne fremde Beteiligung unter sich beraten.

Dem Bürgermeister wurde versichert, dass das Thema des Abends nicht die Ausgemeindung, sondern eine Verbesserung des Eingemeindungsvertrags sei, worauf dieser noch einmal betonte, dass solche Fragen nach dem Zusammenschluss nur „Sache des Oberbürgermeisters“ seien, bestimmendes Organ wäre stets die Stadt Mainz. Eine Eingabe an den Landtag könne nur über den Oberbürgermeister geschehen. Trotzdem habe die Stadt Mainz ohne gesetzliche Verpflichtung einen Ortsbeirat geschaffen, allerdings nur in beratender, nicht in entscheidender Funktion.

Nachdem Dr. Schwahn gegangen war, einigten sich die Parteienvertreter, die Forderung einer Ausgemeindung vollkommen fallen zu lassen, denn die Stadt Mainz müsste darüber entscheiden. Wäre Gonsenheim aber wirklich selbständig, wären die Nachteile größer als die Vorteile, vor allem die Steuerbelastung würde steigen. Taulke hatte die Forderung nach Ausgemeindung schon bei der Sitzung der Vereinsvertreter v. 28.5. gegen den Willen von Dr. Bieroth abgewendet. Beim Parteiengespräch gab auch die CDU ihr Votum dagegen ab.

Auch eine Revision oder Änderung des Vertrages sei aussichtslos nach so vielen Jahren; bei einer Forderung nach Wiedergutmachung müssten sich die meisten eingestehen, der Vorort sei nicht drittrangig, sondern sogar besser als andere behandelt worden. Erfolgversprechend schien nur, was dann auch gemeinsam  beschlossen wurde: 1) durch ein Schreiben die Stadt auf die Einhaltung des Vertrages aufmerksam zu machen, und 2) in einem weiteren Schreiben an den Landtag im Hinblick auf das zur Beratung anstehende Selbstverwaltungsgesetz für den Vorort Gonsenheim und andere Vororte eine größere Teilselbstverwaltung zu verlangen.

Die Vertreter Bott (SPD), Schuth (CDU) und Körner (FDP) und der Ortsvorsteher sollten diese Schreiben in einer gemeinsamen Besprechung am 18.6.1954 verfassen. Ein Schreiben der Parteienvertreter schien angebracht, der Ortsvorsteher hätte sonst den Dienstweg über den Oberbürgermeister einhalten müssen, der die Weitergabe verhindern oder Änderungen hätte durchsetzen können.[85]

Im Schreiben v. 18.6. baten die Gonsenheimer Parteienvorstände den OB nur um einen baldigen Termin mit der Stadtverwaltung zu einer „eingehenden Besprechung“ über „die noch unerfüllten vertraglichen Verpflichtungen der Stadt Mainz ihrem größten und schönsten Vorort gegenüber“. Im Schreiben an den Landtag, ebenfalls vom 18.6.1954, werden konkrete Vorschläge für eine „größere mitbestimmende Selbstverwaltung“ im neuen Gesetz gemacht, damit Gonsenheim die vertraglichen Zusagen der Stadt Mainz aus dem Eingemeindungsvertrag erlangen könne. Bis in die 60-er Jahre wurden immer wieder Versprechungen des Eingemeindungsvertrags angemahnt, hauptsächlich ein Waldschwimmbad (§ 13) wurde gefordert.[86]

Die beim Besuch der Landtagsabgeordneten gemachten Vorschläge und Eindrücke haben offenbar kaum Eingang in das neue rheinland-pfälzische Selbstverwaltungsgesetz v. 5. Oktober 1954 gefunden. Die Einrichtung des Ortsbeirats wurde höchstens schriftlich bestätigt, ist aber immer noch ein Kann-Beschluss (§ 58 Abs. 1).[87] Wenn auch später neben der Wahl des Stadtrats eine eigene Wahl des Ortsbeirats und auch eine Wahl des Ortsvorstehers eingeführt worden sind, wobei durch Kumulieren und Panaschieren die Wähler auch Einfluss auf die zu wählenden Kandidaten ausüben konnten, die Funktion des Ortsbeirats ist immer eine beratende geblieben. Doch sind die Befugnisse des Ortsbeirats in der jetzigen Gemeindeordnung genauer gefasst, die Möglichkeiten auch etwas erweitert, jedenfalls was die Formulierungen anbetrifft. Letztendlich entscheidet doch immer der Gemeinderat – d.h. in Mainz der Stadtrat.[88] Sehr offensichtlich wurde das bei der Frage der Streichung der Ehrenbürgerschaft Hitlers im Jahre 2002. Die Gemeinderäte und der Bürgermeister der selbständigen Gemeinde Gonsenheim hatten zwar 1933 den „Führer“ zum Gonsenheimer Ehrenbürger erkoren, doch Ortsvorsteher und Ortsbeiräte des heutigen Vororts konnten nicht selbständig diese „Ehrung“ rückgängig machen, sie mussten im November 2002 die Hilfe des Mainzer Stadtrats erbitten, durch dessen Beschluss Hitler aus der Ehrenliste zu streichen.[89]

1963 endlich Zufriedenheit auf Mainzer und Gonsenheimer Seite über die Eingemeindung

Zum Zeitpunkt der 25-jährigen Zugehörigkeit von Gonsenheim zu Mainz im Jahre 1963 zählte die Einwohnerschaft zusammen mit dem Münchfeld und dem Hartenberg über 20.000. Zwei Jahre zuvor war die Friedhofskapelle eingeweiht worden, die auch immer eingefordert worden war (§ 9). So meinten denn auch der damalige Oberbürgermeister Franz Stein und Ortsvorsteher Büdel übereinstimmend, dass erst Gonsenheims „Aufgehen in Mainz“ die bauliche und wirtschaftliche Entwicklung Gonsenheims und seine Bedeutung hervorgebracht habe. Stein ergänzte, Mainz habe immer die Eigenständigkeit Gonsenheims berücksichtigt, so würden nur Gonsenheimer in der Ortsverwaltung arbeiten. Auch Büdel äußerte, dass durch „die wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtungen“ zwischen Stadt und Gemeinde eine Eingemeindung ohnehin gekommen wäre. Doch die Gonsenheimer hätten sich 1938 „vergewaltigt“ gefühlt. Wären die Begründungen des damaligen Oberbürgermeisters in ihrer „ganzen Ausführlichkeit“ als Grundlage für freie Verhandlungen mit dem Gemeinderat benutzt worden, „wäre bestimmt ein freiwillig ausgehandelter Eingemeindungsvertrag zustande gekommen.“

Dann wäre auch ein stärkeres Mitspracherecht der Gonsenheimer in den Satzungen eingefügt worden, vor allem bei der Verwirklichung der von der Stadt gemachten Versprechen. So sei der Vorort ganz auf die Gnade des Stadtrats angewiesen.[90]

Nach 25 Jahren Eingemeindung wurde die einstige „Zwangsehe“ von Mainzer und Gonsenheimer Seite als „glücklich und erfolgreich“ angesehen. „Der Gonsenheimer Groll von ehedem“, so schrieb die SPD-Zeitung „Die Freiheit“ zum 1.4.1963, basierte auch nicht auf einer Feindschaft gegenüber der großen Schwester, sondern vielmehr auf der Willkür der Machthaber des Dritten Reiches.“[91] Doch das Gonsenheimer Waldschwimmbad ist erst 1974 als Schwimmbad auf Mombacher Gemarkung zwischen den beiden Nachbar-Vororten entstanden.

Schlussbemerkung

Noch einen positiven Aspekt der Eingemeindung muss ich zum Schluss erwähnen, einen Gedanken, den ich bisher noch nicht gehört habe. Im Jahre 1930, nach dem Abzug der großen französischen Besatzungskolonie planten die Gonsenheimer Gemeindeväter, brachliegendes Gemeindeland zur Ansiedlung von Gewerbe und Industrie zu verkaufen, um die leere Gemeindekasse etwas zu füllen und Gewerbesteuer einnehmen zu können. Die Weltwirtschaftskrise machte einen Strich durch die Rechnung. Während der Aufrüstung in der NS-Zeit 1937/38 wurde viel Gelände zum Aufbau einer Kaserne und dem dazu nötigen Übungsgelände gebraucht, wo heute Gonsenheimer Neubürger friedlich wohnen. Die Eingemeindung 1938 war von der Stadt hauptsächlich geplant als Wohnstadt und Wald-Erholungsgebiet für gestresste Großstädter. So breitete sich die Gonsenheimer Bevölkerung nach dem 2. Weltkrieg und in den Zeiten des Wirtschaftswunders um den alten Ortskern explosionsartig aus, aber es kam nie der Gedanke auf, in Gonsenheim Fabriken anzusiedeln. Die Mittelstandsbetriebe im Gonsenheimer Gewerbegebiet brauchen keine Schlote, um die Umwelt zu verpesten. Dafür musste der 1. Mainzer Vorort im 20. Jahrhundert, der Industriestandort Mombach, herhalten. Die chemischen „Düfte“, die einst stärker herüberwehten, waren allerdings nicht so konzentriert wie vor Ort.

Was ursprünglich eine „Zwangsehe“ war, ist zumindest eine „Vernunftehe“ geworden. Entscheiden Sie selbst, ob wir heute nach 70 Jahren sogar von einer „Liebesehe“ sprechen können.